· 

Digitalisierung ist nicht gleich Digitalisierung

Der Begriff der Digitalisierung begleitet uns seit Jahren und gewinnt stetig an Bedeutung – gerade in der momentanen Krisensituation wird die Notwendigkeit einer digitalen Strategie für Unternehmen deutlich. Aber was ist denn jetzt eigentlich Digitalisierung genau? Und welche Chancen bringt sie mit sich? Mit diesen und weiteren Fragen befasst sich der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Michael Hüther in „Potenziale und Umsetzung der Digitalisierung auf Unternehmensebene“.

Digitale Transformation im Unternehmenskontext

Wo im deutschen Sprachgebrauch die Digitalisierung mehr als allgemeines und allumfassendes Thema verstanden wird, ist man im Englischen deutlich spezifischer. Gerade im Unternehmenskontext ist Digitalisierung nicht gleich Digitalisierung und erfordert eine präzisere Beschreibung der unterschiedlichen Prozesse und damit einhergehenden digitalen Transformation der Geschäftsmodelle. Neben der „Digitisation“, der Umwandlung eines analogen Prozesses in eine digitale Form, unterscheidet man zusätzlich noch zwischen „Digitalisation“ sowie „Digital Transformation“ als Indikator für den Grad der Digitalisierung. Als Digitalisation bezeichnet man den Wandel von analogen zu digitalen Geschäftsmodellen. Digital Transformation kommt dann zum Einsatz, wenn ein Unternehmen software-basierte Prozesse und Algorithmen einsetzt, um die eigene Agilität zu verbessern und in Echtzeit auf Marktveränderungen reagieren zu können.

Warum eine solche Präzisierung der Begrifflichkeiten wichtig ist, zeigt sich laut Autor in den verschiedenen digitalen Geschäftsmodellen und deren jeweiliger Wirkungskontext. Betrachtet man den Bereich des Business-to-Business (B2B), kristallisiert sich mit Industrie 4.0 ein bereits bekanntes Konzept für die Zukunft der deutschen Industrie heraus. Hierbei soll die Digitalisierung durch die Umsetzung digitaler Kommunikationstechnologie zwischen Maschinen und der gesamten Wertschöpfungskette helfen, das bislang noch große ungenutzte Potential in der Produktion auszuschöpfen. Auch hier lassen sich die Unterteilungen der Digitalisierung direkt anwenden. So wäre Digitisation die Verbesserung der Prozesse durch automatisierte Machine-to-Machine-Kommunikation. Die Einbindung dienstleistungsbezogener Leistungen in Industrieprodukte und die daraus entstehenden neuen Geschäftsmodelle fallen unter Digitalisation. Gerade im europäischen Vergleich zeigen deutsche Unternehmen bereits erste Ansätze der Digital Transformation, in dem sie kundenspezifische und innovative Dienstleistungen kreieren.

Wie eine erfolgreiche Umsetzung der Digital Transformation in Business-to-Consumer (B2C) aussehen kann, verdeutlichen die großen Tech-Unternehmen in Silicon Valley. Trotz riesiger Onlineplattformen werden hier unabhängig von Standort und Kultur dem Konsumenten differenzierbare Dienstleistungen angeboten, die zum Beispiel Geschäftsmodelle und Angebote basierend auf Google Maps ermöglichen. C2B, also Consumer-to-Business, äußert sich besonders im Bereich Big Data, indem eine Transaktion von Daten der Kunden für Dienstleistungen der Unternehmen stattfindet. Mit diesen Daten erschließen Unternehmen neue Geschäftsfelder (Digitalisation) und passen Prozesse per Algorithmen in Echtzeit an (Digital Transformation). Anders verhält sich die Consumer-to-Consumer-Schnittstelle. In C2C ist jeder Konsument gleichzeitig ein potenzieller Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, was sich durch eine immer populärer werdende Sharing Economy verdeutlicht.

Vorantreiben der Digitalisierung führt zu mehr Produktivitätswachstum

Um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, müssen gewisse Voraussetzungen gegeben sein. Besonders im B2B-Bereich erfordert der demografische Wandel passende Weiterbildungsangebote, insbesondere für ältere Arbeitnehmer. Um dem geringen Digitalisierungsgrad in nicht-urbanen Regionen entgegenzuwirken, muss eine ausreichende Infrastruktur sowie ausreichend Fachkräfte vorhanden sein. Auch in Sachen Zugang und Bewirtschaftung von Daten müssen die Verantwortungen und Regeln klar vorgegeben und z.B. Eigentumsrechte klar zuweisbar sein. Zusätzlich würde die noch fehlende Standardisierung des Datentransfers reibungslose Abläufe und damit weniger Friktion und Kosten ermöglichen.

Generell lässt sich ein positiver Effekt auf die gesamte Wirtschaft durch die digitale Transformation erwarten. In den letzten Jahren lässt sich bereits in der Informations- und Kommunikationstechnik-Branche sowie im Verarbeitenden Gewerbe ein positiver Zusammenhang zwischen Digitalisierungsgrad und Produktivität erkennen. Trotzdem ist die vorhergesagte Produktivitätssteigerung in Deutschland sowie anderen Industrienationen bisher kaum bemerkbar – Grund für die Verzögerung seien die momentan noch hohen Investitions- und Umstellungskosten. Bei einer Umfrage des IW-Zukunftspanels habe sich außerdem ein weiteres Problem offenbart. Zwar äußerten befragte Unternehmen eine positive Erwartungshaltung im Hinblick auf die Digitalisierung und die Auswirkungen auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings gaben fast drei Viertel der deutschen Firmen an, datengetriebene Geschäftsmodelle momentan und auch in Zukunft nicht anzuwenden. Es ist daher kaum verwunderlich, dass beim Thema Data Economy 89% der deutschen Unternehmen als „Einsteiger“ und 10.1% als „Fortgeschrittene“ bewertet werden.

Das noch unerfüllte Potential und das damit einhergehenden Produktivitätswachstum durch den digitalen Wandel erweist sich somit als immens.